EU-Wasserrahmenrichtlinie & KI
Rechtliche Grundlagen für KI-Einsatz
Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) 2000/60/EG: Die EU-Wasserrahmenrichtlinie schafft explizit Raum für innovative Technologien in der Wasserwirtschaft.
Artikel 11 – Maßnahmenprogramme:
- Explizite Erwähnung „innovativer Technologien“
- Digitalisierung als Instrument zur Zielerreichung
- KI-basierte Überwachung ausdrücklich erwünscht
Artikel 8 – Überwachung der Gewässer:
- „Geeignete moderne Überwachungstechnologien“
- Real-time Monitoring wird gefördert
- Automatisierte Datenerfassung und -auswertung
Praxisrelevanz für Wasserversorger: ✅ KI für Überwachung und Berichterstattung ist rechtlich abgesichert ✅ Automatisierte WRRL-Berichte sind zulässig ✅ Innovative Messverfahren werden anerkannt
Nationale Umsetzung in Deutschland
Wasserhaushaltsgesetz (WHG) §§ 9, 13:
- § 9 Abs. 2: „…moderne Überwachungs- und Steuerungstechnik…“
- § 13 Abs. 3: Erlaubnis für automatisierte Entscheidungen
- § 23: Digitale Wasserrechts-Verwaltung
Trinkwasserverordnung (TrinkwV 2023):
- § 19a: Online-Monitoring explizit geregelt
- § 20: KI-gestützte Risikobewertung zulässig
- Anlage 4: Standards für automatisierte Messungen
Praktische Anwendung:
- KI-Systeme können Wasserrechts-Anträge unterstützen
- Automatische Grenzwert-Überwachung ist rechtssicher
- Algorithmus-basierte Optimierung ist genehmigungsfähig
DSGVO-Leitfaden für Wasserdaten
Datenschutz in KI-Wassersystemen
Grundprinzipien der DSGVO (Art. 5):
- Rechtmäßigkeit: KI-Verarbeitung benötigt Rechtsgrundlage
- Zweckbindung: Daten nur für definierten Zweck nutzen
- Datenminimierung: Nur notwendige Daten verarbeiten
- Richtigkeit: Algorithmen müssen korrekte Daten verwenden
- Speicherbegrenzung: Historische Daten nach Bedarf löschen
- Integrität: Schutz vor unbefugter Verarbeitung
Rechtsgrundlagen für KI in der Wasserwirtschaft
Art. 6 Abs. 1 DSGVO – Rechtmäßige Verarbeitung:
a) Einwilligung:
- Für Smart Metering bei Privatkunden
- Muss freiwillig, informiert und spezifisch sein
- Jederzeit widerrufbar
c) Rechtliche Verpflichtung:
- Wasserqualitäts-Überwachung (TrinkwV)
- Umweltüberwachung (WRRL)
- Betriebssicherheit kritischer Infrastruktur
e) Öffentliches Interesse:
- Versorgungssicherheit
- Umweltschutz
- Hochwasserschutz
f) Berechtigtes Interesse:
- Netzoptimierung
- Energieeffizienz
- Predictive Maintenance
Spezifische Datenanforderungen
Personenbezogene Daten in Wassersystemen:
Direkt personenbezogen:
- Kundendaten (Name, Adresse)
- Verbrauchsabrechnungen
- Zahlungsinformationen
Indirekt personenbezogen:
- Smart Meter Verbrauchsdaten
- Zeitpunkte der Wasserentnahme
- Verbrauchsmuster (können Rückschlüsse auf Lebensgewohnheiten ermöglichen)
Nicht personenbezogen:
- Aggregierte Netzverbrauchsdaten
- Wasserqualitätsmessungen
- Technische Anlagendaten
Anonymisierung und Pseudonymisierung
Anonymisierung (Art. 4 Nr. 1 DSGVO):
- Irreversible Entfernung des Personenbezugs
- KI kann anonyme Daten unbeschränkt nutzen
- Praktisches Beispiel: Verbrauchsdaten von 100+ Haushalten aggregieren
Pseudonymisierung (Art. 4 Nr. 5 DSGVO):
- Ersetzung von Identifikatoren durch Codes
- Zusätzliche Informationen getrennt speichern
- Praktisches Beispiel: Kundennummer statt Name für KI-Analyse
Technische Umsetzung:
Original: "Müller, Hans → 150L/Tag"
Pseudonymisiert: "Kunde_7391 → 150L/Tag"
Anonymisiert: "Durchschnitt 100 Kunden → 145L/Tag"
Datenschutz-Folgenabschätzung (DSFA)
Wann ist eine DSFA erforderlich? (Art. 35 DSGVO)
- Automatisierte Entscheidungsfindung mit Rechtswirkung
- Umfangreiche Verarbeitung sensibler Daten
- Systematische Überwachung öffentlicher Bereiche
KI-Wassersysteme mit DSFA-Pflicht: ✅ Smart Metering mit Verhaltensanalyse ✅ Automatische Wassersperrung durch KI ✅ Umfassende Kundenprofilierung ❌ Anonyme Netzoptimierung ❌ Wasserqualitäts-Monitoring ohne Personenbezug
DSFA-Durchführung:
- Beschreibung: Verarbeitungsvorgang detailliert dokumentieren
- Bewertung: Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit prüfen
- Risiken: Für Betroffene identifizieren und bewerten
- Maßnahmen: Risikominimierung definieren
- Konsultation: Bei hohem Risiko Aufsichtsbehörde einbeziehen
EU AI Act – Auswirkungen auf die Wasserwirtschaft
Klassifizierung von KI-Systemen
Der EU AI Act (Verordnung 2024/1689) kategorisiert KI-Systeme:
Hochrisiko-KI-Systeme (Anhang III, Nr. 2): „KI-Systeme zur Steuerung kritischer digitaler Infrastrukturen“
Wasserwirtschaftliche Anwendungen als Hochrisiko:
- Automatische Steuerung der Wasserversorgung
- KI-gestützte Trinkwasseraufbereitung
- Autonome Hochwasserschutz-Systeme
- Kritische Infrastruktur-Überwachung
Geringes Risiko:
- Datenanalyse ohne automatische Entscheidungen
- Beratende KI-Systeme (Empfehlungen)
- Reine Überwachungs- und Reportingsysteme
Compliance-Anforderungen für Hochrisiko-KI
Artikel 9 – Risikomanagement:
- Dokumentiertes Risikomanagement-System
- Regelmäßige Risikobewertung und -aktualisierung
- Residuale Risiken für Nutzer identifizieren
Artikel 10 – Daten und Datenmanagement:
- Trainingsdaten müssen repräsentativ sein
- Datenqualität kontinuierlich überwachen
- Bias-Erkennung und -Vermeidung implementieren
Artikel 13 – Transparenz und Bereitstellung von Informationen:
- Benutzer müssen über KI-Nutzung informiert werden
- Verständliche Dokumentation bereitstellen
- Grenzen und Fähigkeiten kommunizieren
Artikel 14 – Menschliche Aufsicht:
- Meaningful human oversight sicherstellen
- Override-Möglichkeiten für menschliche Operatoren
- Kontinuierliche Überwachung der KI-Entscheidungen
Praktische Umsetzung für Wasserversorger
Schritt 1: Klassifizierung (bis Mai 2025)
- Alle KI-Systeme identifizieren und kategorisieren
- Risikobewertung dokumentieren
- Compliance-Roadmap erstellen
Schritt 2: Technische Dokumentation (bis August 2026)
- Algorithmus-Beschreibung
- Training und Validierung dokumentieren
- Risikomanagement-Verfahren etablieren
Schritt 3: Konformitätsbewertung (bis August 2027)
- CE-Kennzeichnung für Hochrisiko-Systeme
- Externe Prüfung durch notifizierte Stelle
- EU-Konformitätserklärung abgeben
Zeitplan und Übergangsbestimmungen:
- 02.08.2025: AI Act vollständig anwendbar
- 02.08.2026: Hochrisiko-Systeme müssen konform sein
- 02.08.2027: Alle bestehenden Systeme müssen angepasst sein
Standards & Zertifizierungen
ISO-Standards für KI-Management
ISO/IEC 42001:2023 – KI-Managementsysteme
- Geltungsbereich: Organisationen, die KI entwickeln oder nutzen
- Anforderungen: Systematisches KI-Management etablieren
- Zertifizierung: Durch akkreditierte Prüfstellen möglich
Relevante Norminhalte für Wasserwirtschaft:
- Kapitel 4: Kontext der Organisation (Stakeholder, Risiken)
- Kapitel 6: Planung (KI-Ziele, Risikomanagement)
- Kapitel 8: Betrieb (KI-Systeme, Datenmanagement)
- Kapitel 9: Bewertung (Monitoring, interne Audits)
ISO 46001:2019 – Wassereffizienz-Managementsysteme
- Integration: KI-Systeme in Wassermanagement einbinden
- Synergien: Kombination beider Standards möglich
- Mehrwert: Ganzheitlicher Ansatz für nachhaltige Wasserwirtschaft
Branchenspezifische Standards
DVGW-Arbeitsblatt W 1001 (Entwurf): „Künstliche Intelligenz in der Trinkwasserversorgung“
Geplante Inhalte (Veröffentlichung Q2 2025):
- Sicherheitsanforderungen für KI-Systeme
- Qualitätssicherung bei Algorithmus-Training
- Dokumentationspflichten
- Test- und Validierungsverfahren
DIN 2403:2024 – Kennzeichnung von Rohrleitungen
- KI-Bezug: Automatische Erkennung von Rohrleitungsmarkierungen
- Integration: Computer Vision in bestehende Standards
VDI 3807 – Energiemanagement
- Blatt 1: Grundlagen (KI-Integration möglich)
- Blatt 5: Wasserwirtschaftliche Anlagen (in Überarbeitung für KI)
Cybersecurity-Standards
IEC 62443 – Industrielle Kommunikationsnetze Besonders relevant für vernetzte Wassersysteme mit KI
IEC 62443-4-2 – Technische Sicherheitsanforderungen:
- SR 1: Identifikation und Authentisierung
- SR 2: Verwendungskontrolle
- SR 3: Systemintegrität (besonders wichtig bei KI)
- SR 7: Ressourcenverfügbarkeit
BSI IT-Grundschutz-Kompendium:
- Baustein IND.2.7: Wasserwirtschaft
- Baustein APP.7: KI-Systeme (in Entwicklung)
- Zertifizierung: Nach ISO 27001 auf Basis IT-Grundschutz
Compliance-Checkliste für Wasserversorger
Rechtliche Compliance:
- DSGVO-konforme Datenverarbeitung
- WHG-konforme Anlagenbetrieb
- TrinkwV-konforme Qualitätsüberwachung
- EU AI Act Klassifizierung durchgeführt
Technische Standards:
- ISO 42001 Konformität geprüft
- DVGW-Regelwerk beachtet
- Cybersecurity nach IEC 62443
- Dokumentation vollständig
Betriebliche Aspekte:
- Risikomanagement etabliert
- Mitarbeiterschulung durchgeführt
- Notfallpläne für KI-Ausfall
- Regelmäßige Compliance-Audits
Empfohlene Vorgehensweise:
- Gap-Analyse durchführen (Status Quo vs. Anforderungen)
- Compliance-Roadmap erstellen (Prioritäten und Zeitplan)
- Externe Beratung für komplexe Rechtsfragen
- Schrittweise Umsetzung mit regelmäßiger Erfolgskontrolle
- Kontinuierliche Aktualisierung bei Rechtsänderungen