Ein praxisnaher Einstieg für Versorger jeder Größe
Wasserver- und ‑entsorger sammeln rund um die Uhr Messwerte – vom Pegelstand bis zur Phosphorkonzentration. Künstliche Intelligenz (KI) verwandelt diese Daten in handfeste Handlungsempfehlungen. Man kann sie sich wie eine sehr erfahrene Kollegin vorstellen, die nie müde wird, permanent dazulernt und Warnlampen einschaltet, bevor etwas schiefläuft.
Die Kläranlage Cuxhaven etwa spart mit einem KI‑gestützten „digitalen Zwilling“ jährlich sechsstellige Energiekosten und steuert heute weite Teile des Betriebs vollautomatisch.
Ein einfaches Beispiel: Stellen Sie sich vor, Sie haben 1.000 Sensoren in Ihrem Wassernetz. Ein Mensch kann unmöglich alle gleichzeitig überwachen. KI kann das – und erkennt Muster, die Menschen übersehen würden.
Die wichtigsten KI-Technologien einfach erklärt
Machine Learning (Maschinelles Lernen) Was es ist: Computer lernen aus Erfahrungen, wie Menschen auch Beispiel: Ein System lernt, wann normalerweise viel Wasser verbraucht wird und kann Spitzenzeiten vorhersagen
Nutzen: Bessere Planung und weniger Überraschungen
Digitale Zwillinge (Digital Twins) Was es ist: Ein virtuelles Abbild Ihrer echten Anlage im Computer Beispiel: Ihre Kläranlage existiert zusätzlich als Computermodell, an dem Sie Änderungen erst testen können
Nutzen: Sichereres Experimentieren ohne Risiko für die echte Anlage
Predictive Analytics (Vorhersage-Analytik) Was es ist: Computer erkennen Trends und sagen die Zukunft voraus Beispiel: „Diese Pumpe wird in 3 Wochen ausfallen“ statt „Diese Pumpe ist kaputt“
Nutzen: Wartung planen statt auf Notfälle reagieren
IoT-Sensoren (Internet der Dinge) Was es ist: Viele kleine „intelligente“ Messgeräte, die sich selbst vernetzen Beispiel: Sensoren melden automatisch Wasserdruck, Durchfluss und Qualität
Nutzen: Lückenlose Überwachung ohne zusätzliches Personal
Begriff | Kurz erklärt | Beispiel aus der Praxis |
Maschinelles Lernen | Algorithmen erkennen wiederkehrende Muster in historischen und Echtzeitdaten. | In Berlin sagt das EU‑Projekt Digital Water City kombinierte Regenüberläufe bis zu zwei Stunden vor Eintritt voraus – Betreiber drosseln vorsorglich Zuläufe und vermeiden Gewässerbelastungen. |
Digitale Zwillinge | Virtuelle Abbilder von Netzen, Anlagen oder Einzelschächten erlauben Tests ohne Risiko. | EWE Wasser simuliert seine Klärwerke in Cuxhaven in Echtzeit und optimiert Belüftung wie Chemikaliendosierung. |
Predictive Analytics | Statistische Modelle prognostizieren Ausfälle, Lastspitzen oder Qualitätsabweichungen. | Das BMBF‑Vorhaben KAbit reduziert Treibhausgas‑Emissionen, indem es aerobe und anoxische Phasen vorausschauend steuert |
IoT‑Sensorik & Edge Computing | Tausende vernetzte Messpunkte liefern sekundengenau Daten; erste Auswertung passiert direkt vor Ort. | Das Forschungsprojekt KIWA koppelt Kameras, Pegel‑ und Niederschlagsmesser, um Hochwasser 90 Minuten früher zu melden. |
Warum KI für regionale Wasserversorger?
Die Herausforderungen ohne KI:
- Reaktives statt vorausschauendes Handeln
- Hohe Personalkosten für Überwachung
- Schwierige Planung bei schwankender Nachfrage
- Verpassen von Optimierungsmöglichkeiten
Die Vorteile mit KI:
- Geld sparen: Weniger Wasserverluste, Energieeinsparungen
- Zeit gewinnen: Automatische Überwachung und Frühwarnung
- Qualität steigern: Kontinuierliche Wasserqualitätskontrolle
- Zukunft sichern: Bessere Anpassung an Klimawandel
Technologie-Glossar
Begriff | Definition (konzis) |
---|---|
Algorithmus | Schritt‑für‑Schritt‑Vorgehen zur Lösung eines Problems – vergleichbar mit einem Kochrezept für Daten. |
Artificial Neural Network (ANN) | Software‑Struktur, die das Lernprinzip vernetzter Neuronen im Gehirn nachbildet. |
Big Data | Datenmengen, deren Volumen, Geschwindigkeit oder Vielfalt klassische Datenbanksysteme überfordert. |
Cloud Computing | Auslagerung von Rechen‑ und Speicherleistung in hochverfügbare Rechenzentren („IT wie Strom aus der Steckdose“). |
Deep Learning | Teilgebiet des ML mit sehr vielen Verarbeitungsschichten; prädestiniert für komplexe Muster (z. B. Bildanalyse). |
Digitale Zwillinge | Virtuelles, laufend synchronisiertes Abbild einer physischen Anlage oder eines Netzes – ermöglicht Simulation und Optimierung. |
Edge Computing | Datenverarbeitung direkt am Sensor oder Aggregationspunkt statt ausschließlich in der Cloud. |
IoT‑Sensor | Günstiger, vernetzter Messknoten, der Daten (z. B. Druck, Temperatur, Leitfähigkeit) via Funk bereitstellt. |
Machine Learning | Sammelbegriff für Verfahren, bei denen Systeme auf Basis von Beispieldaten Muster erkennen und Vorhersagen treffen. |
Predictive Analytics | Datenanalyse, die Wahrscheinlichkeiten für zukünftige Ereignisse (Ausfall, Lastspitze …) quantifiziert. |
SCADA | „Supervisory Control and Data Acquisition“ – Leittechnik zur Überwachung und Steuerung von Anlagen; häufige Primärdatenquelle für KI‑Modelle. |
Erste Schritte: Ihr Weg zur KI
Phase 1: Verstehen
- Informieren Sie sich über Grundlagen (diese Plattform nutzen!)
- Besuchen Sie Veranstaltungen wie den DVGW-Kongress
- Sprechen Sie mit anderen Versorgern über deren Erfahrungen
Phase 2: Bewerten
- Machen Sie den KI-Readiness-Check
- Identifizieren Sie Ihre größten Probleme
- Prüfen Sie Ihre vorhandene IT-Infrastruktur
Phase 3: Planen
- Definieren Sie konkrete Ziele
- Erstellen Sie einen Stufenplan
- Kalkulieren Sie Budget und Ressourcen
Phase 4: Starten
- Beginnen Sie mit einem kleinen Pilotprojekt
- Sammeln Sie Erfahrungen
- Erweitern Sie schrittweise
Häufige Missverständnisse über KI
❌ „KI ersetzt unsere Mitarbeiter“ ✅ KI unterstützt Ihre Mitarbeiter und macht sie effektiver
❌ „KI ist nur für große Versorger“ ✅ Auch kleine Betriebe profitieren – oft sogar besonders stark
❌ „KI ist zu teuer“ ✅ KI spart langfristig Geld durch Effizienzsteigerungen
❌ „KI ist zu kompliziert“ ✅ Moderne KI-Systeme sind benutzerfreundlich gestaltet
Readiness-Check: Sind Sie bereit für KI?
Ihre Daten (Basis für alle KI):
- Wir sammeln regelmäßig Betriebsdaten
- Unsere Daten sind digital verfügbar
- Wir haben mindestens 2 Jahre historische Daten
Ihre IT-Infrastruktur:
- Wir haben eine stabile Internetverbindung
- Unsere Anlagen sind teilweise automatisiert
- Wir nutzen bereits Software für die Betriebsführung
Ihr Team:
- Mindestens eine Person ist IT-affin
- Das Management unterstützt Digitalisierung
- Wir sind offen für Veränderungen
Ihr Budget:
- Wir haben Budget für Investitionen
- Wir können externe Berater beauftragen
- Wir kennen verfügbare Förderprogramme
Auswertung:
0-3 Häkchen: Konzentrieren Sie sich zunächst auf Digitalisierungs-Grundlagen
8-12 Häkchen: Sie sind bereit für KI-Projekte
4-7 Häkchen: Bereiten Sie sich vor und starten Sie mit einfachen Projekten
Der Nutzen für verschiedene Betriebsgrößen
Kleine Versorger (< 10.000 Einwohner):
- Fokus auf einfache, kostengünstige Lösungen
- Oft große relative Einsparungen möglich
- Weniger komplexe Implementierung
Mittlere Versorger (10.000-100.000 Einwohner):
- Ausgewogenes Kosten-Nutzen-Verhältnis
- Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten
- Gute Basis für Pilotprojekte
Große Versorger (> 100.000 Einwohner):
- Umfassende KI-Systeme wirtschaftlich
- Eigene KI-Expertise entwickelbar
- Vorreiterrolle für die Branche